Eines Nachts brach ein Dieb in die bescheidene Hütte des Zen-Meisters Ryokan Daigu ein, die hoch oben in den Bergen lag. Er durchwühlte die Wohnstätte des Meisters, konnte aber nichts finden, das es sich mitzunehmen lohnte.
Als Meister Ryokan von seiner nächtlichen Wanderung zurück und zur Tür hineinkam und den Einbrecher überraschte, sah er das enttäuschte Gesicht des Diebes. Darauf sagte er: „Der Weg hier hinauf zu mir war lang und beschwerlich. Ich will dich nicht mit leeren Händen gehen lassen. Deshalb schenke ich dir meine Kleider.“
Der Dieb war verblüfft, ergriff aber hektisch die Kleider des Meisters und rannte Hals über Kopf davon.
Ryokan setzte sich nackt vor seine Hütte und schaute in den sternklaren Himmel hinauf. „Der arme Mensch. Ich bedauere, dass ich ihm diesen wunderschönen Mond nicht schenken kann.“
(aus „Was ist die ewige Wahrheit?“von Marco Aldinger,
Herder, 1998, Geschichte leicht überarbeitet)
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