„Eine gestörte Selbstwahrnehmung“ kann die Ursache für viele Probleme und Krankheiten sein. Diese Tatsache spürte ich vor einigen Monaten am eigenen Leib. Mir ging es über Monate nicht gut, denn ich war kraftlos und erschöpft. Was das mit meiner Selbstwahrnehmung zu tun hatte, erschloss sich mir anfangs nicht.
Ich zögerte monatelang, bis mich meine Hausärztin schließlich aus dem Verkehr zog. Meine Arbeitsunfähigkeit dauerte mehrere Monate lang. Es war zunächst meine Aufgabe, Kraft zu sammeln, um später wieder neu zu starten. Dafür war es notwendig, mich selbst wieder besser zu spüren – ein Teil der Selbstfindung, die hier auf Zeit zu leben oft Thema ist.
Die Selbstwahrnehmung zu stärken ist daher ein Thema, das mir persönlich wichtig geworden ist. Nach einigen Monaten, die nun vergangen sind, möchte ich Sie gern an meinen Erkenntnissen und Strategien teilhaben lassen.
Lassen Sie mich dafür zuerst den Begriff etwas näher beleuchten.
Was ist Selbstwahrnehmung?
„Selbstwahrnehmung“ klingt abstrakt und weit weg. Doch die Selbst- oder Eigenwahrnehmung ist ein wichtiger Baustein für unsere mentale Gesundheit.
Das Konzept der Selbstwahrnehmung ist eng verwandt mit dem Begriff Achtsamkeit. Wenn wir Achtsamkeit leben, haben wir auch eine gute Selbstwahrnehmung.
Wer sich selbst gut wahrnimmt, ist oft „bei sich“, hört sich zu, spürt sich, nimmt seine Bedürfnisse und Gefühle wahr, spürt sein Bauchgefühl oder hört die innere Stimme, handelt instinktiv und merkt, was ihm/ihr guttut.
Mir waren diese Eigenschaften abhandengekommen, da ich über eine längere Zeit hinweg immer das nächste Ziel vor Augen hatte und mich selbst vernachlässigte: Prüfung, Prüfung, Bachelorarbeit. Berufseinstieg. Studienplatz. Prüfung, Prüfung, Masterarbeit. Neuer Job.
Immer war etwas anderes wichtiger als ein ruhiger Moment mit mir selbst. Irgendwann wurde mir klar, dass es so nicht weitergehen konnte.
Symptome einer mangelnden Selbstwahrnehmung
In meinen schlechtesten Phasen kam ich nach der Arbeit nach Hause, ließ mich fix und fertig auf die Couch sinken, von der ich mich Stunden später kein bisschen erholt erhob, um noch ein paar Stunden mit Surfen auf dem Handy totzuschlagen. Schließlich versuchte ich vergeblich einzuschlafen.
Außer Schlafstörungen trafen die folgenden Symptome auf mich zu:
- innere Unruhe
- Unzufriedenheit
- Ungeduld
- das Gefühl, fremdbestimmt zu sein
- das Gefühl, keine Wahl zu haben
- Demotivation
- Hoffnungslosigkeit
- Sinnlosigkeit
- Traurigkeit
Diese Anzeichen waren auch Symptome einer depressiven Episode. Doch sie sind unmittelbar verwoben mit der Ursache des Ganzen: einer schlechten Selbstwahrnehmung.
Erkennen Sie sich wieder? Wenn Sie ähnliche Symptome bei sich feststellen oder das Gefühl haben, schon lange nicht mehr auf Ihr Bauchgefühl gehört zu haben, ist es Zeit, etwas zu tun.
Den Schalter umlegen
Die wichtigste Botschaft lautet: Es ist nie zu spät. Auch wenn Sie sich jahrzehntelang keine Gedanken zu Selbstwahrnehmung gemacht haben, kann heute der erste Tag sein, an dem Sie es tun. Es kann heute losgehen.
Es wird eine Herausforderung sein, in sich hineinzuhorchen. Es wird Kraft kosten, überhaupt die Gegebenheiten zu schaffen, um in Ruhe und ungestört über sich nachzudenken. Aber es wird sich lohnen.
Im Folgenden möchte ich Ihnen nun ein paar Gewohnheiten für mehr Selbstwahrnehmung vorstellen. Vielleicht sind ja auch eine oder zwei dabei, die Sie für sich gleich umsetzen wollen.
Tipp 1: Gelegenheiten schaffen durch Termine mit sich selbst
Legen Sie einen regelmäßigen Termin für ein Treffen mit sich selbst fest.
In Ihrem Meeting mit sich selbst sollten Sie ungestört sein, d. h. sich an einem ruhigen Ort befinden, an dem Sie sich wohl fühlen. Versuchen Sie Ablenkungen zu vermeiden, indem Sie Ihr Handy nicht in Ihrer Nähe haben oder es ausschalten. Sagen Sie den Menschen in Ihrem Umfeld, dass Sie in dieser Zeit nicht gestört werden möchten.
Allein dieser Schritt ist schon eine Herausforderung. Wir haben es nahezu verlernt, uns eine Weile zurückzuziehen, dabei wünschen sich viele von uns Ruhe.
Nutzen Sie die Zeit, um sich zu besinnen und in Ruhe über sich nachzudenken. Es könnte Sie im ersten Moment überfordern, über Ihr Leben zu philosophieren. Fangen Sie mit Ihrer aktuellen Lebenssituation an.
Fragen Sie sich, wie es Ihnen geht. Das ist nicht immer so leicht zu beantworten. Überlegen Sie, welche Probleme Sie beschäftigen, und schreiben Sie ungefiltert auf, was Ihnen durch den Kopf geht. Lassen Sie Ihre Gedanken fließen, ohne sie zu bewerten!
Tipp 2: Bewusstsein schaffen durch ein Tagebuch
„Bewusstsein“ sagt sich so leicht dahin. Doch merken Sie tatsächlich, was Sie im Moment fühlen? Ich hatte meine Gefühle und Bedürfnisse so weit verdrängt, dass ich sie nicht einmal nach längerem Nachdenken äußern konnte.
Ein Tagebuch ist eine gängige Methode, um einen besseren Draht zu sich selbst aufzubauen. Das kann analog oder digital erfolgen. Es dient dazu, jeden Tag einen Blick auf sich selbst zu werfen und die Ereignisse, aber vor allen Dingen die Gefühle Revue passieren zu lassen. So zwingen Sie sich selbst dazu, die Frage zu stellen: „Wie habe ich mich gefühlt?“
Sie werden morgen oder am Wochenende nicht so motiviert sein wie jetzt, mit der Gewohnheit anzufangen. Starten Sie deshalb JETZT mit dem ersten Eintrag – auch wenn er nur 3 Zeilen hat!
Tipp 3: Zur Ruhe kommen durch Atmung, Entspannung und Meditation
Wenn Sie schon mal einen Termin mit sich selbst vereinbart haben, können Sie ihn auch gleich für eine kurze Atemübung nutzen.
Schritt 1: Hinsetzen
Setzen Sie sich dazu aufrecht auf den Boden oder einen Stuhl. (Im Liegen könnten Sie einschlafen, was hier nicht gewollt ist.)
Schritt 2: Augen zu
Schließen Sie die Augen.
Schritt 3: Bewusst atmen
Atmen Sie in den Bauch. Er wölbt sich nach außen beim Einatmen und nach innen beim Ausatmen.
Schritt 4: Konzentrieren
Konzentrieren Sie sich auf Ihren Atem. Denken Sie an nichts, sondern nur an die Luft, die ein- und ausströmt.
Wenn Ihre Gedanken abschweifen, holen Sie sie liebevoll zurück. Es ist normal, dass Sie kaum an nichts denken können. Finden Sie immer wieder zu Ihrem Atem zurück.
Diese Technik kann Wunder wirken, aber nur, wenn Sie sie in die Praxis umsetzen. Das könnte jetzt oder in Ihrem Termin mit sich selbst erstmals passieren. Im Idealfall üben Sie diese Art der Entspannung jeden Tag. Es reichen fünf Minuten. Oder zwei.
Tipp 4: Selbstbestimmte Entscheidungen durch stärkeres Bauchgefühl
Bei dieser Gewohnheit geht es darum, wieder öfter aus dem Bauch heraus zu entscheiden, denn Intuition ist selten falsch. Wenn wir das Bauchentscheiden verlernt haben, ist es ein guter Anfang, zunächst zu „banalen“ Themen die ungefilterte Reaktion aus dem Bauch heraus zu erproben.
Zeit zu leben bietet viele wertvolle Ressourcen an, um zu sich zu finden. Beispielsweise ist die Anleitung, um sein Bauchgefühl zu stärken, sehr hilfreich. Lesen Sie sie im Anschluss an diesen Artikel, später oder in Ihrem Termin mit sich und machen Sie die Übung zu Körpersignalen anhand der Tabelle in besagtem Artikel. Denken Sie über anstehende Entscheidungen nach. Geht es darum, wie Sie das Wochenende verbringen wollen? Was es zum Abendbrot gibt? Das nächste Urlaubsziel?
Schreiben Sie die Themen auf und lauschen Sie auf Ihre innere Stimme. Versuchen Sie bei diesen und kommenden Entscheidungen auf Ihr Bauchgefühl zu hören.
Sie können ihm vielleicht nicht immer folgen, da auch andere Menschen mitbestimmen. Nehmen Sie das Bauchgefühl aber wahr und richten Sie sich danach, wenn Sie die Möglichkeit haben!
Tipp 5: Körperlicher Ausgleich durch Bewegung
Bewegung baut Spannungen ab und macht aufgrund der ausgeschütteten Endorphine glücklich. Sport ist für mich eine gute Gelegenheit, zu mir selbst zu kommen. Das kann ich am besten bei Individualsportarten wie Radfahren, Joggen und Inlineskaten. Auch wenn Sie gern spazieren gehen, nutzen Sie diese Zeit, um in sich hineinzuhorchen!
Üben Sie sich beim Sport bzw. Spaziergang in Achtsamkeit, indem Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die Umwelt, d. h. die Geräusche und Düfte der Natur, richten. Holen Sie Ihre Gedanken ins Hier und Jetzt, falls Sie ins Grübeln geraten. Genießen Sie den Moment und die Zeit für sich. Sagen Sie zu Ihren Gedanken, dass Sie sich gleich (z. B. in 30 Minuten) um sie kümmern werden.
Welche Sportart könnte Ihnen gefallen? Eine Team- oder eine Individualsportart? In einer Gruppe können Sie weniger ungestört nachdenken, jedoch trotzdem einem Ihrer Bedürfnisse nach körperlichem Ausgleich und Spannungsabbau gerecht werden. Nutzen Sie Gelegenheiten für Bewegung – sei es der Weg zum Bäcker, zur Arbeit oder zum Arzttermin. Nehmen Sie das Fahrrad oder gehen Sie zu Fuß, wenn es die Bedingungen zulassen.
Tipp 6: Besser kommunizieren
Sich selbst besser wahrzunehmen heißt auch besser zu kommunizieren und für die eigenen Bedürfnisse einzustehen. Dafür eignen sich Ich-Botschaften, die wir oft verlernt haben. Wir verstecken uns hinter „man“-Aussagen oder gehen in Streitgesprächen zum direkten Angriff über.
Äußern Sie in Gesprächen, wie es Ihnen geht. Statt „Du kümmerst dich nicht um mich!“ könnten Sie „Ich fühle mich vernachlässigt, weil …“ sagen. Der Unterschied ist, dass Sie Ihre Gefühle aussprechen, statt mit einem Vorwurf die Abwehrreaktion Ihres Gegenübers herauszufordern.
Sagen Sie Nein, wenn Sie Nein meinen. Dies ist ein Kapitel für sich, gehört aber zu einer selbstbestimmten Kommunikation. Wenn Ihr Bauchgefühl etwas ablehnt, sollten Sie ihm folgen – oder sich Bedenkzeit erbitten, um in Ruhe darüber nachzudenken.
Mir hat diese Strategie nicht nur geholfen, mir meine Gefühle bewusst zu machen, sondern auch konstruktivere Gespräche zu führen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim Umsetzen der Strategien. Wenn Sie noch Anregungen haben, wie sich die Selbstwahrnehmung verbessern lässt, oder einfach Feedback abgeben möchten, würde ich mich über Ihren Kommentar sehr freuen!
Wie Sie diese Gewohnheiten auch wirklich umsetzen können
Viele gute Ideen lesen wir und haben sie im nächsten Moment wieder vergessen. Es sind geniale Tipps, die wir nie umsetzen. Genau so könnte es mit den Strategien für mehr Selbstwahrnehmung in diesem Beitrag sein.
Warum das so ist? Um eine neue Verhaltensweise aufzubauen, reicht der Wille allein nicht aus. Wir nehmen uns so vieles vor. Mehr Sport zu machen, unser Hobby wieder öfter auszuüben, ein paar Kilos abzunehmen, uns öfter bei Freunden zu melden. Es klappt nur nicht.
Ich hatte seit Jahren fast kein Buch mehr gelesen, obwohl ich in meiner Jugend eine Leseratte gewesen war. Ich schaffte es nicht und hatte mittlerweile auch verlernt, dass es mir früher Spaß gemacht hatte.
Wenn wir etwas dauerhaft tun wollen, müssen wir es zur Gewohnheit machen. Hier greift die 20-Sekunden-Regel, die entscheidet, ob wir auf der Couch versacken oder uns aufraffen.
Erfordert der Einstieg in eine Gewohnheit einen mehr als 20-sekündigen Aufwand, ist sie uns zu anstrengend. Ist das Tagebuch tief im Rollcontainer oder Nachtschrank vergraben und kein Stift in Reichweite, werden wir uns kaum zum Schreiben überwinden. Liegt es aber mit einem angeklemmten Stift griffbereit im Wohnzimmer, fällt es uns schon leichter.
Drei Schritte helfen Ihnen beim Etablieren der neuen Gewohnheiten:
- Machen Sie sich einen Plan, welche Gewohnheiten Sie anstreben!
- Legen Sie die notwendigen Utensilien bereit bzw. kaufen Sie die notwendigen Dinge!
- Fangen Sie jetzt gleich an!
Wichtig ist, neue Gewohnheiten jeden Tag zu üben, denn es ist leichter, etwas jeden Tag zu tun als nur ab und zu. Um die neue Gewohnheit nicht zu vergessen, führen Sie eine Checkliste, auf der Sie jeden geschafften Tag abhaken. Die ersten Kreuzchen wirken sehr motivierend!
Hier können Sie die Checkliste zum Abhaken herunterladen
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