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Letztes Jahr habe ich eine komplette berufliche Kehrtwende vollzogen. Wie es dazu kam?

Nun, ich wurde im Job immer unzufriedener und unglücklicher. Die Anforderungen an mich wurden immer höher, die Mittel, die bereitstanden, blieben immer dieselben. Meine Kollegen und ich sollten in einem schrumpfenden Markt Verkaufsziele erreichen, die völlig unrealistisch waren, aber niemand traute sich, das offen zu sagen. Meine Arbeit wurde so zu einem vorprogrammierten konstanten Misserfolg, da ich mit meinen Maßnahmen die Ziele niemals erreichen konnte. Wenn die monatlichen Kennzahlen auf dem Tisch lagen, saß ich wie das Kaninchen vor der Schlange und traute mich kaum, hineinzusehen. Ich war verunsichert, hatte zunehmend das Gefühl, den Job, den ich bereits seit zehn Jahren ausübte, nicht mehr richtig zu „können“, weil mir nicht die Lösung einfiel, wie wir auf einen Schlag mehr statt immer weniger verkaufen konnten. Ich hatte Angst vor der Geschäftsführung. Die Abteilungsleitung war bereits abgeschafft worden, dafür war ich ja jetzt Marketing Manager. Komischerweise hatte mich niemand gefragt, ob ich das auch sein möchte.

Welche Angst beherrscht mich eigentlich?

Aber wovor hatte ich eigentlich diese Angst? Warum ging es mir so schlecht, dass ich während der Arbeitszeit fast gelähmt, nach Feierabend zu Hause schlecht gelaunt und reizbar, zuweilen verzweifelt und total erschöpft war? Es war nicht die Aussicht, den Job zu verlieren, denn den wollte ich ja schon längst gar nicht mehr haben. Es war nicht die Existenzangst, keinen Job mehr zu haben oder keinen zu finden, das schreckte mich alles nicht so sehr, da ich noch Ersparnisse besaß und mein Mann ebenfalls arbeitete. Es war eher die Aussicht, dass sich nichts ändern würde. Die Aussicht auf eine niemals endende Folge unerfreulicher Besprechungen, in denen immer ich am Schluss diejenige sein würde, die weitere Aufgaben aufgehalst bekäme und dazu auch noch sagt: „Jaja, das versuche ich irgendwie.“

Zu einem gewissen Zeitpunkt (nach mehreren Jahren!!) wurde mir dann klar: Die Situation bei der Arbeit wird sich nicht mehr zum Besseren verändern. Ich bin es, die etwas ändern muss. Darauf folgte der erlösende Gedanke: Niemand zwingt mich, dort zu arbeiten. Niemand zwingt mich, erst einen neuen Job in der Tasche zu haben, bevor ich den jetzigen kündige. Nein, der Hungertod lauert nicht vor der Tür. ICH kann das entscheiden, niemand sonst. Ich muss nicht darauf hören, was andere sagen, für die mehrheitlich der Sicherheitsaspekt viel wichtiger ist. Ich muss auf MICH hören, wenn ich will, dass es mir wieder besser geht.

Habe ich eigentlich einen Traum?

Danach wurde alles sehr viel einfacher. Mir fiel ein, dass ich ja mal darüber nachdenken könnte, was ich wirklich am liebsten machen würde, abseits aller Vernunftüberlegungen. Tatsächlich gab es da einen Gedanken, der sich sofort einstellte: Schon seit Jahren hatte ich den Traum, einmal in den Alpen auf einer Hütte zu arbeiten, ohne dass ich der Sache je Chancen auf Verwirklichung eingeräumt hätte. Denn da war ja immer der Job, von dem ich unmöglich für eine längere Zeit wegbleiben konnte. Doch wenn der nicht mehr wäre?

Oha, jetzt standen wirklich Entscheidungen an. Doch schnell war klar – auch wenn es mit der Alpenhütte nicht klappen sollte, meine aktuelle Arbeitssituation musste ich trotzdem beenden. Schon das erste Telefonat mit einer Hüttenwirtin im Allgäu bestätigte mich in meinem Entschluss. So fröhlich und positiv gestimmt hatte schon seit langer Zeit niemand mehr mit mir in einem beruflichen Zusammenhang gesprochen. Auf meine vorsichtige Frage, ob denn Erfahrung als Bedienung notwendig sei, erntete ich schallendes Gelächter und die Antwort: „Mei, mir san die Ung’lernten immer die liebsten, des san die Motivierten!“ In der vorangegangenen Saison habe sie einen Steuerberater und einen Künstler beschäftigt. Letztendlich bekam ich einen Sommer-Job auf einer Hütte von befreundeten Hüttenwirten im Hochallgäu, dem Waltenberger Haus. Gekündigt habe ich zwei Tage, nachdem ich die Zusage (telefonisch: „Das machen wir jetzt hier am Telefon, dann gilt das auch!“) erhalten hatte. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich gefühlt habe! Nach dem Telefonat hatte ich einen nie zuvor erlebten Energierausch, sodass ich sofort in den Wald laufen musste, sonst wäre ich vermutlich geplatzt. Der Termin für meine Kündigung stand aber schon vorher fest, die Sicherheit, den nächsten Schritt auch wirklich gehen zu können, war nur das Sahnehäubchen.

Positives Feedback gibt viel Selbstvertrauen!

Mittlerweile habe ich den Arbeitseinsatz auf der Hütte hinter mir und habe erfahren, wie es sein kann, mit netten, gut gelaunten Leuten zusammen die Dinge zu erledigen, die getan werden müssen (putzen, waschen, Gäste bewirten, beraten, beruhigen, beplaudern …).

Wie es ist, einen Chef zu haben, der seine Wertschätzung fast täglich zum Ausdruck bringt.

Teil der Hüttenfamilie zu sein, die gemeinsam von morgens früh bis abends spät den Betrieb stemmt.

Ein Geschäftsmodell zu erleben, wo nicht der „Plan“ das Geschehen bestimmt, sondern das Wohlbefinden der Mannschaft erste Priorität hat.

Wo der Chef größten Wert auf die gemeinsamen Mahlzeiten legt und täglich seine Familie und die Angestellten bekocht, damit alle bei Laune bleiben und Kraft für den nächsten Tagesabschnitt sammeln können.

Ich weiß jetzt auch, wie es ist, von 6 bis 22 Uhr im Dienst zu sein und keine geregelten Pausenzeiten zu haben. Den Tagesablauf bestimmen die Gäste – wenn sie da sind, ist man auch voll da.

Das ist anstrengend, macht aber viel Spaß, wenn der Rahmen stimmt.

Ich hatte nie das Gefühl, ausgenutzt oder schlecht behandelt zu werden. Überhaupt: ein Arbeitsplatz in 2.085 Metern über Meereshöhe mit Ausblicken ins Tal und auf die Gipfel! Ich hatte die ganze Zeit über eher das Gefühl, ein Privileg zu genießen, hier mitmachen zu dürfen. Die gemeinsamen Mahlzeiten, die gemeinsame Versorgung der Gäste, der abendliche Absacker in der Küche, wenn nach 22 Uhr die Hüttenruhe galt! Auch mal das Lästern über Gäste, die sich seltsam aufgeführt hatten, das alles war für mich ereignisreicher und erfüllender als jeder Urlaub. Ich hatte mir von dem Aufenthalt alles Mögliche erträumt: Abstand von meinem langjährigen Job und dem ganzen Frust zu erreichen, neue Ideen zu bekommen, nette Leute zu treffen. Was ich aber nicht erwartet hatte, war, neue Freunde zu finden und einen Ort, an dem ich auch in Zukunft immer willkommen bin.

Zufriedenheit trotz Unsicherheit

Bis jetzt habe ich leider noch keine neue Arbeitsstelle in meinem Heimatort gefunden. Natürlich weiß ich, dass ich schon großes Glück damit habe, dass wir finanziell so abgesichert sind, dass wir meine Arbeitslosigkeit eine Zeit lang tragen können. Trotzdem geht es mir viel besser als in den vergangenen Jahren. Ich bin ausgeglichen, habe Zeit für Sport und meine Leidenschaft, das Saxophonspielen. Ich bin unheimlich stolz darauf, mich von dem „sicheren“ Job gelöst zu haben und etwas umzusetzen, was mir schon so lange im Kopf herumspukte. Und ich freue mich darüber, wieder neu gelernt zu haben, dass ein Job sehr viel mehr sein kann als eine unendliche Reihe von Tagen mit lauter unlösbaren Problemen, die es irgendwie zu überstehen gilt.

Ich bin vor allem stolz darauf, diese Entscheidungen aus eigener Kraft getroffen zu haben, ohne dass mir jemand zu- oder abgeraten hätte. Diese Erfahrung kann mir keiner mehr nehmen, solange es auch dauern soll, bis ich wieder mit beiden Beinen im Berufsleben stehe.

Diese Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich zwar vielleicht nicht die Schnellste bin, was Entscheidungen angeht, doch wenn ich ein klares Gefühl dafür entwickelt habe, was für mich richtig ist, kann ich auch Konsequenzen ziehen. Erst wenn ich selbst handle, eröffne ich mir die Chance auf eine Veränderung. Ein gutes Gefühl, das mir auch das nötige Vertrauen gibt, jetzt einen neuen Job zu finden. Einen, der mich erfüllt und in dem die Wertschätzung der Mitarbeiter eine höhere Priorität hat als in meinem vorherigen Job.

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